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Die bayerische Stadt Niederaichbach hat sich lange gegen eine Hochspannungsleitung ausgesprochen, die für den Transport von Deutschlands erneuerbarer Energie unerlässlich ist. Es brauchte einen Krieg und landesweite Stromausfallwarnungen, bis der Widerstand der Anwohner nachließ.
SuedOstLink ist eine von zwei großen Stromautobahnen, die Offshore-Windenergie von Deutschlands Nordküste in die industriellen Kerngebiete bringen wird. Niederaichbach – nur wenige Kilometer vom größten deutschen Automobilwerk der BMW AG entfernt – markiert den südlichsten Punkt der Startaufstellung.
Die Bewohner haben erst kürzlich zugelassen, dass der Plan vorangetrieben wird, nachdem jahrelange rechtliche Schritte unternommen wurden, um dies zu verhindern. Im Jahr 2020 verklagte die Stadt das Bauprojekt – zu dem auch ein riesiger Konverter gehört –, weil sie gehofft hatte, den Raum für die Erhaltung zu nutzen, und Bedenken hinsichtlich des Aussehens bestanden.
Der neuerliche Kurswechsel der Stadt ist eine gute Nachricht für Deutschlands schleppenden Ausbau der erneuerbaren Energien, erinnert aber auch an den brodelnden Widerstand in ganz Europa. Während die Energiekrise auf der Region lastet, sind die Bürger gezwungen, die politischen und ökologischen Risiken einer Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen gegen die potenziell hinderliche Ästhetik von Stromkabeln und modernen Windmühlen abzuwägen.
Für Deutschland steht besonders viel auf dem Spiel: Der Wirtschaft droht die Deindustrialisierung, wenn sie keine bezahlbare Stromversorgung gewährleisten kann. Es steht auch unter Druck – als das umweltschädlichste Mitglied des Blocks – einen Beitrag zu Europas Bestreben zu leisten, grün zu werden und zur Eindämmung der Klimakrise beizutragen.
„Wir brauchen Übertragungsleitungen, um unsere Energieunabhängigkeit zu erhöhen und die Energiewende zum Erfolg zu führen“, sagte Niederaichbachs Bürgermeister Josef Klaus in einem Interview mit Bloomberg. Als Zeichen dafür, wie schnell sich die Stimmung geändert hat, wurde der Stadtvorsteher erst im Februar mit der Aussage zitiert, er sei „enttäuscht“ von einem Gerichtsurteil zugunsten der Stromleitung.
Die Energiekrise, die nach dem Einmarsch Russlands in die Ukraine ausgelöst wurde, trug entscheidend dazu bei, dass er und die Stadt ihren Widerstand gegen SuedOstLink verringerten, und scheint auch den Widerstand gegen Projekte anderswo zu schmelzen. Die Deutschen waren mit einer höheren Inflation konfrontiert als je zuvor seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs, und die Bürger sind besorgt, dass der Druck auf die produktionslastige Wirtschaft Produktionsstillstände und Arbeitsplatzverluste nach sich ziehen könnte.
„Die Menschen sehen, dass Erneuerbare Energien der Schlüssel zu mehr Unabhängigkeit sind“, sagt Energiesoziologin Katja Witte vom Wuppertal Institut und fügt hinzu: „Regional erzeugte und genutzte Energie kann ein Gefühl von Kontrolle und Vertrauen vermitteln.“
Umfragen deuten darauf hin, dass sich die öffentliche Meinung zunehmend für grüne Energie ausspricht, und auch der Gesetzgeber hat sich zu der Verschiebung vor Ort geäußert.
Die Grünen-Politikerin Lisa Badum sagte, in ihrem bayerischen Heimatkreis stehe seit 1999 nur eine einzige Onshore-Anlage, jetzt seien vier bis fünf Windgebiete in Planung. Viele, die früher gegen die Windkraft waren – vor allem konservative Kräfte – stimmen jetzt dafür, sagt sie.
Ähnlich sagte der Sozialdemokrat Timon Gremmels, dass in der Vergangenheit im Wald nahe seiner Heimat, dem Reinhardswald in Mitteldeutschland, Anti-Wind-Aktivisten sehr aktiv waren. Aber der Widerstand sei „eindeutig zurückgegangen“, seit Russland im Februar in die Ukraine einmarschiert sei, sagte er in einem Interview.
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Dieser Spielraum hat der Bundesregierung Spielraum gegeben, Vorschriften zugunsten der Betreiber erneuerbarer Energien zu lockern. Onshore-Windparks dürfen nachts mit höherer Leistung betrieben werden, auch wenn dies etwas mehr Lärm verursacht. Auch Biomasseanlagen, die Pflanzen und andere organische Materialien verbrennen, haben grünes Licht für eine gehobene Produktion erhalten, obwohl sie zu unangenehmen Gerüchen neigen.
Die Koalition von Bundeskanzler Olaf Scholz hat das landesweite Ziel für erneuerbare Energien bis 2030 von 65 % auf 80 % angehoben und in den ersten drei Quartalen dieses Jahres 25 energiebezogene Gesetze oder Verordnungen verabschiedet – kaum eine Regierung zuvor.
Neue Gesetze, die im Januar in Kraft treten, besagen, dass saubere Energien „im überwiegenden öffentlichen Interesse liegen und der öffentlichen Sicherheit dienen“. Trotzdem wird das Land laut Experten, die die Regierung beraten, seine Klimaziele in diesem Jahrzehnt verfehlen, und Rankings zur Umweltleistung zeigen, dass Deutschland zurückfällt, hauptsächlich aufgrund langsamer Fortschritte bei sauberer Energie.
Trotz Anzeichen einer Besserung bleibt der lokale Widerstand eine Herausforderung für Deutschlands grüne Wende. Die Stadt Oederan im ehemaligen kommunistischen Ostblock des Landes, in der die rechtsextreme und klimaskeptische Alternative für Deutschland sehr stark ist, torpediert Pläne zur Errichtung von neun Windkraftanlagen mit einer Jahresleistung von 135 Kilowattstunden. Anwohner, Politiker und die lokale Verwaltung argumentieren, dass der Windpark einen malerischen Blick auf eine Kirche aus dem 13. Jahrhundert verbauen würde.
Obwohl Kommunen erheblich von lokalen Onshore-Parks profitieren können – das Gesetz verpflichtet die Betreiber sogar, Gewinne mit den Anwohnern zu teilen – befürchten die Einheimischen oft, dass sie verlieren könnten, zum Beispiel wenn neue Entwicklungen dazu führen, dass der Immobilienwert sinkt. Sie haben viele Möglichkeiten, sich gegen neue Projekte zu stellen.
Auch langwierige Planungsverfahren für Erneuerbare-Energien-Anlagen sind ein großes Thema für die Unternehmen der Branche. Bundesländer brauchen zwischen 14 und 58 Monaten, um Genehmigungen zu erteilen, womit Deutschland die Einjahresempfehlung der EU deutlich verfehlt. Bestimmte Verfahren dauern laut einer Umfrage von Deutschlands größtem Industrieverband BDI sogar dreimal so lange wie erlaubt.
Scholz hat im jüngsten Wahlkampf des Landes angekündigt, Bürokratie für Erneuerbare abzubauen. So dürfe die Genehmigung von Windkraftanlagen nicht sechs Jahre, sondern sechs Monate dauern, sagte er einmal.
„Alles in allem können bürokratische Prozesse rund um den Wind-, Solar- und Netzausbau bis zu 15 Jahre dauern“, sagt Simon Müller, Deutschland-Geschäftsführer des Energie-Thinktanks Agora Energiewende. Obwohl sich die Bundesregierung des Problems bewusst ist, hat sie nur begrenzte Möglichkeiten, es zu ändern, da solche Entscheidungen weitgehend in den Händen der staatlichen Behörden liegen.
Wenn auch Landkreise und Gemeinden mitreden wollen, führt das schnell zu so viel Papierkram, „dass drei Anlagen 70 Ordner füllen können“, sagte Katja Wünschel, Vorstandsvorsitzende Wind Onshore der RWE AG, kürzlich bei einer Podiumsdiskussion. RWE, ein Riese für erneuerbare Energien, hat wiederholt davor gewarnt, dass diese Verzögerungen Deutschland für Investitionen weniger attraktiv machen.
Im bayerischen Niederaichbach sind die Planer derweil nur wenig hoffnungsvoller. Obwohl die Hürde des lokalen Widerstands beseitigt ist, ist die Energieautobahn noch Jahre davon entfernt, Deutschlands Energieprobleme zu lindern, wobei konkrete Baupläne noch nicht begonnen haben. Die Bundesregulierungsbehörde geht davon aus, dass die komplette Stromleitung bis 2030 in Betrieb sein wird.
–Mit Unterstützung von Chris Reiter.
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