
Das Deutsche Institut für Wirtschaft (DIW) steht kurz vor seinem 100. Jubiläum im Juli, und Präsident Marcel Fratzscher hat die aktuelle wirtschaftliche Situation in Deutschland sowie den notwendigen Handlungsbedarf in Wirtschaft und Politik angesprochen. In einem aktuellen Bericht thematisiert er die Risiken, die drohen, wenn Deutschland nicht entschlossen gegen negative Entwicklungen ankämpft, wie sie unter der Präsidentschaft von Donald Trump in den USA sichtbar wurden. Fratzscher warnt vor einer „mentalen Depression“, die innovative Lösungen behindert und die wirtschaftliche Lage erschwert, wenngleich er betont, dass die deutsche Wirtschaft sich derzeit nicht in der schlimmsten Krise seit 70 Jahren befindet.
Fratzscher prognostiziert für die kommenden zehn Jahre geopolitische, wirtschaftliche, technologische und klimatische Krisen. Die Globalisierung, die in der Vergangenheit als Grundlage des wirtschaftlichen Wohlstands in Deutschland galt, wurde in den letzten 30 Jahren übertrieben und hat zu einer Zunahme der Ungleichheit innerhalb der Gesellschaften geführt. Anstatt einer Abschottung plädiert er für eine Umgestaltung der Globalisierung, um den Herausforderungen der Deindustrialisierung zu begegnen, die zugleich auch Chancen für neue Entwicklungen birgt.
Wirtschaftliche Unsicherheiten und Souveränitätswünsche
Im Zuge der anhaltenden Unsicherheiten blicken Unternehmen besorgt auf die wirtschaftliche Lage. Die Corona-Pandemie bleibt auch 2022 ein zentrales Thema. Die durch die Pandemie gestörten Lieferketten und die Ungewissheit über zukünftige Probleme wie Hafenschließungen und fehlende Arbeitskräfte verstärken die Vulnerabilität der deutschen Wirtschaft, die an ihrer großen Offenheit leidet. Laut dem DIW ist eine wachsende Zahl von Stimmen zu hören, die eine De-Globalisierung sowie eine Rückverlagerung der Produktion fordern. Diese Bestrebungen könnten jedoch kontraproduktiv sein und die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands gefährden.
Ein Beispiel für solche Fehleinschätzungen könnte der Brexit sein, durch den Großbritannien mehr Souveränität verloren hat. In einer globalisierten Welt kann jedoch kein Land vollständige Souveränität beanspruchen, da die Abhängigkeit von ausländischen Technologien bereits Realität ist. Die Suche nach technologischer Souveränität könnte die Produktivität in Deutschland senken.
Richtungsweisende Veränderungen für die Zukunft
Fratzscher hebt hervor, dass eine kluge Diversifizierung von Risiken und global diversere Produktionsstrukturen unerlässlich sind, um die Resilienz der Volkswirtschaften zu erhöhen. Für Europa ist es wichtig, vorausschauend und einheitlich Auftritt, um die eigenen Interessen im Wettbewerb mit großen globalen Akteuren wie China und den USA zu wahren. Dabei sieht er die Notwendigkeit an, Handelszölle weniger wichtig zu nehmen und stattdessen globale Standards zu setzen.
Das DIW sieht sich auch in der Verantwortung, gesellschaftspolitische Debatten zu begleiten und aufzuklären, was angesichts der Herausforderungen besonders wichtig ist. Fratzscher kritisiert die gegenwärtige Politik, die Schwierigkeiten für Geflüchtete schafft und damit die Offenheit und Diversität der Gesellschaft gefährdet.
Insgesamt könnte 2022 ein Jahr der Neuorientierung sein, wie das DIW prophezeit. Es bleibt abzuwarten, wie Deutschland und Europa auf diese Herausforderungen reagieren werden, um den wirtschaftlichen Wohlstand künftig zu sichern und gleichzeitig die sozialen Ungleichheiten anzugehen.