
Die EU sieht sich gegenwärtig einem enormen wirtschaftlichen und geopolitischen Druck ausgesetzt, der sowohl von den USA als auch von China ausgeht. Politische Spannungen entstehen durch drohende amerikanische Zölle, die sich auf den Handel im Wert von über 500 Milliarden Euro auswirken könnten, während gleichzeitig chinesische Produkte die europäischen Märkte überfluten. Inmitten dieser Herausforderungen betont die EU die Notwendigkeit, ihren Binnenmarkt zu stärken und sich auf neue wirtschaftliche Rahmenbedingungen einzustellen. Ein Grund für diese Stärkung sind unterentwickelte technologische Sektoren innerhalb Europas, die im Vergleich zu den USA und Asien zurückfallen. Die Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen steht an der Spitze der Bemühungen, um die EU durch diesen Konflikt zu navigieren und die Wettbewerbsfähigkeit zu sichern.
Die EU ist stark exportabhängig und benötigt eine rege Nachfrage sowohl aus den USA als auch aus China, um wirtschaftliches Wachstum zu gewährleisten. Dennoch ist die Produktivität in der EU seit den 2010er-Jahren auf lediglich 80% des US-Niveaus gesunken. Dies wird vielfach auf die Euro-Schuldenkrise zurückgeführt, doch viele Ökonomen sehen auch andere Ursachen für die stagnierende Wirtschaft. Der Mangel an Risikokapital trägt ebenfalls zur Unterentwicklung des Technologiesektors in Europa bei, wo Investitionen in Start-ups in den USA bis zu 15-mal höher sind als in der EU.
Reformbedarf im Binnenmarkt
Um die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Wirtschaft wiederherzustellen, sind tiefgreifende Reformen notwendig. Die EU ist bestrebt, den Binnenmarkt weiter zu vertiefen und bestehende Handelshemmnisse abzubauen. Der Binnenmarkt ist nun 30 Jahre alt und gilt nach wie vor als unvollendet. Ziel ist es, die Freizügigkeit zu fördern und die Marktbedingungen an aktuelle Entwicklungen, wie den digitalen Wandel, anzupassen. Im Jahr 2022 wurden Gesetze zu digitalen Märkten und Dienstleistungen verabschiedet. Diese sollen ein sichereres und transparenteres Online-Umfeld schaffen und den Nutzern mehr Rechte, etwa im Hinblick auf das Recht auf Reparatur, einräumen.
Die Vorsitzende des Binnenmarktausschusses, Anna Cavazzini, fordert, dass der Binnenmarkt ein zentraler Bestandteil der politischen Zielsetzungen der EU wird, um widerstandsfähiger gegenüber Krisen, wie der durch COVID-19 bedingten Wirtschaftskrise, zu sein.
Strategien zur Wirtschaftsbelebung
Ökonomen empfehlen weitere Schritte zur Stärkung der europäischen Wirtschaftsstruktur, einschließlich der Schaffung einer Kapitalmarktunion und einer gemeinsamen Industriepolitik zur Förderung strategisch wichtiger Sektoren. Zudem wird eine Erhöhung der Verteidigungsausgaben angeregt, um die Industrie in Europa zu stärken. Ein erfolgreicher Binnenmarkt könnte auch dazu beitragen, das Handelsdefizit der USA gegenüber der EU zu verringern.
Es besteht Einigkeit darüber, dass die EU sich nicht von den Drohungen Trumps einschüchtern lassen sollte. Vielmehr sollte sie eigene Reformen vorantreiben, um zukünftigen wirtschaftlichen Herausforderungen gewachsen zu sein. Ein starkes deutsch-französisches Führungsduo könnte dabei entscheidend sein, um diese Reformbereitschaft auf politischer Ebene zu fördern.
Die EU steht vor der Herausforderung, ambitionierte Reformen einzuleiten, um einen weiteren wirtschaftlichen Abstieg zu vermeiden und das volle Potenzial des Binnenmarkts auszuschöpfen. Tages-Anzeiger und Europarl sind sich einig, dass jetzt eine entscheidende Phase für die EU angebrochen ist.