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Im Kontext der aktuellen wirtschaftlichen Situation in Deutschland und Europa äußert Klaus Dörre, Professor für Arbeits-, Industrie- und Wirtschaftssoziologie an der Universität Jena, Besorgnis über die drohende Wirtschaftskrise. Laut Dörre ist die Gefahr einer massiven Deindustrialisierung in der EU real, da die Industrieproduktion stark eingebrochen ist. Dabei bezeichnet er die gegenwärtige Krise nicht nur als eine spezifisch deutsche Herausforderung, sondern als ein umfassenderes europäisches Phänomen. Dörre sieht die Ursachen teilweise in einer inszenierten Krise, insbesondere innerhalb der Autoindustrie, und verweist auf die stillgelegte Produktion bei Ford in Saarlouis, die er als Resultat strategischer Überlegungen des Unternehmens und nicht von unüberwindbaren Fakten betrachtet.
Dörre kritisiert zudem das bestehende Sozialpartnerschaftsmodell in Deutschland und spricht von einer Zäsur in den Arbeitsbeziehungen. Er warnt vor einem möglichen neuen Zeitalter, dessen Entwicklung in Deutschland sich zeitlich von anderen Ländern abheben könnte. In seinen Aussagen wendet sich Dörre direkt an die Ampel-Regierung, die seiner Meinung nach nicht genügend Planungssicherheit und Investitionen in die Wirtschafts- und Industriepolitik bereitstellt. Um dieser Entwicklung entgegenzuwirken, fordert Dörre eine langfristige Industriepolitik mit einem jährlichen Investitionsbedarf von mindestens 600 Milliarden Euro.
Wirtschaftsverbände und Gewerkschaften warnen vor Deindustrialisierung
Parallel zu Dörres Einschätzungen äußern auch Wirtschaftsverbände und Gewerkschaften Besorgnis über die schleichende Deindustrialisierung in Deutschland. Industry President Siegfried Russwurm warnt vor dem Verlust an Wettbewerbsfähigkeit, während DIHK-Präsident Peter Adrian vor einer Verlagerung von Produktion ins Ausland warnt. DGB-Chefin Yasmin Fahimi fordert wettbewerbsfähige Industrie-Strompreise im Dialog mit der Bundesregierung. In diesem Zuge betont IG BCE-Chef Michael Vassiliadis die Notwendigkeit einer neu entwickelten Industriepolitik für Deutschland und Europa.
Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck hat angekündigt, aktivere Schritte für eine Industriepolitik zu unternehmen, um die Standortsicherheit zu erhöhen und klimaneutrale Wirtschaft zu fördern. Dies wird vor dem Hintergrund des US-Inflationsbekämpfungsgesetzes betrachtet, das Investitionen in den Klimaschutz fördert und dabei europäische Unternehmen benachteiligen könnte. Adrian veranschaulicht die Problematik anhand eines Vergleichs der Strom- und Gaspreise zwischen den USA und Deutschland, um die schleichende Abwanderung von Industrieproduktion aufzuzeigen.
Zusätzlich äußert DIW-Präsident Marcel Fratzscher, dass die Warnungen vor einer Deindustrialisierung zwar übertrieben sein könnten, jedoch Risiken für energieintensive Unternehmen bestehen. Adrian fordert zudem den Abbau bürokratischer Hemmnisse und schnellere Planungsverfahren in Deutschland. Russwurm kritisiert die langsame Genehmigungspraxis sowie die hohen Unternehmenssteuern, die Unternehmen weiter belasten. Die aktuellen Bedingungen führen dazu, dass deutsche Unternehmen zunehmend neue Produkte im Ausland entwickeln, was als Konsequenz strikter Vorgaben in Deutschland interpretiert wird.
Zusammenfassend sind sich zahlreiche Experten einig, dass die Schaffung eines europäischen Data Act zur Förderung von Datenräumen notwendig ist. Kritik wird auch am überbetonten Datenschutz geübt, der Chancen in der Datenökonomie und der Entwicklung von künstlicher Intelligenz behindern könnte.